Warum eignet sich die Serie für das Thema Führung?
Es gibt darin viele lehrreiche Führungsmomente mit Charakteren in unterschiedlichsten Situationen. Im Kern geht es in der Serie um Macht. Und damit auch um Führung. Für uns bilden diese
beiden Begriffe eine Symbiose. Macht bedeutet, andere Menschen in ihrem Denken und Handeln beeinflussen zu können. Dass dies nach moralischen Maßstäben gut oder schlecht sein kann, dafür
liefert uns „Game of Thrones“ vitale Beispiele – von Ned Stark bis Daenerys Targaryen. Vor unseren Augen entfaltet sich ein lebendiges Drama – mit Menschen voller Ehrgeiz und Tapferkeit,
mit List und Tücke, Täuschung und Verrat, Liebe und Hass, Triumph und Scheitern. Unterm Strich also genau das, was wir täglich am Arbeitsplatz erleben. Gut, vielleicht weniger blutig und
endgültig, aber den Typen und ihren Motiven begegnen wir auch im Berufsleben. Deshalb ist „Game of Thrones“ auch ein Lehrstück, wenn Sie wissen wollen, wie Führung wirklich funktioniert.
An welcher Figur lässt sich das Thema Führung am besten analysieren?
An
der Drachenmutter Daenerys. Als junges Mädchen wird sie an einen Kriegsherren verkauft und arbeitet sich aus diesen Verhältnissen hoch zur Königin. Die Zuschauer begleiteten eine lange
Heldenreise. Wir können an ihr erleben, was Macht aus Menschen macht. Sie ist eine unglaublich effiziente Führungskraft. Sie baut in einer alten orientalischen Welt, in der die Männer das
Sagen haben, einen eigenen Großkonzern auf – quasi aus einem Startup mit miserablen Voraussetzungen. Sie zieht ältere Berater, Mentoren hinzu, deren Rat sie hört und oft befolgt. Als
Königin hat sie eine hervorragende Meeting-Kultur, entwickelt sich zu einer starken Rednerin mit wirkungsvollen PR-Auftritten. Und sie hat eine sozialrevolutionäre Vision: Sie will die
Sklaven auf dem Kontinent Essos befreien und die Welt vom Joch der Unterdrückung befreien. Ihr Ziel ist es jedoch, den Thron der Sieben Königslande auf dem Kontinent Westeros zu
besteigen.
Und das wird ihr zum Verhängnis...
Ja, dem ordnet sie alles unter. Wir erleben an ihr, dass die Macht sie korrumpiert. Ihr sozialrevolutionäres Denken wird zerstört, weil sie zu viel Macht aggregiert, den Blick für die
Realität verliert und nicht mehr auf ihre Berater hört. Sie endet als Diktatorin. Das erleben wir auch in der Wirtschaft: Ex-VW-Chef Martin Winterkorn und der frühere Arcandor-CEO
Thomas Middelhoff sind dem eigenen Machtdenken unterlegen und verloren den Blick für die Realität.
Haben Sie auch ein Beispiel für Überforderung gefunden?
Ja,
in der Figur Ned Stark, der seinen Job als Wächter des Nordens aufgibt, um seinem alten Kumpel Robert als Hand des Königs, also dessen Kanzler, zu dienen. Im übertragenen Sinne ist er ein
mittelständischer Unternehmer aus der Provinz, ein regionaler Marktführer, der dem Ruf eines Konzernchefs folgt, dessen COO zu werden. In der ersten Staffel erleben wir, dass Ned Stark
mit der Konzernwelt in der Hauptstadt völlig überfordert ist. Er hat klare Werte, kommt aber in eine von Intrigen und Machtspielchen geprägte Organisation mit unübersichtlichen Allianzen,
in der seine moralischen Ehrbegriffe überhaupt nicht mehr gefragt sind.
Wie schaut es mit Machiavellisten bei „Game of Thrones“ aus?
Gibt es zuhauf, am deutlichsten ist Figur von Lord Tywin, dem Patriarchen des Hauses Lennister. Er verkörpert das Prinzip von autoritärer Führung, lässt keinen Widerspruch zu, ist ein
kluger Führer, der clever Allianzen schmiedet. Was ihm jedoch fehlt, ist strategischer Weitblick für radikale Veränderungsprozesse. Er erkennt nicht, dass sich mit der Drachenmutter
Daenerys weit entfernt eine neue Bedrohung aufbaut, welche die Macht seiner Familie gefährden wird. Die Sieben Königslande sind wie ein Konzern, der sich um sich selbst dreht und die
Konkurrenz an den Markt-Rändern nicht sieht oder ernst nimmt. So wie die alte Musikindustrie nach 2001 die Konkurrenz durch Apple
nicht erkannt hat.
Viele Fans waren am Ende der letzten Staffel enttäuscht, weil Jon Schnee am Ende nicht den Eisernen Thron besteigt. Was sagt das über seine Führungsqualitäten aus?
Dass
er genau weiß, was er will. Jon Schnee ist eine Führungskraft mit exzellenten Qualitäten: Er ist fachlich kompetent, hat klare Werte, ist vorbildlich tapfer, von entwaffnender
Aufrichtigkeit und genießt daher das Vertrauen der Menschen. Aber er sagt eben auch mehrfach, dass er den Eisernen Thron nicht will. Denn er weiß, dass die damit verbundenen Aufgaben
nicht sein Ding sind. Die alltäglichen Managementroutinen, diplomatische Geschicklichkeit, kommunikative Flexibilität - das sind Tyrions Stärken, aber nicht Jons. Wenn man eine
Führungsaufgabe übernimmt, dann muss man es auch wollen. Man muss bereit sein, die Verantwortung mit allen Konsequenzen zu übernehmen. Jon will das nicht.
Gibt es so etwas wie die perfekte Führungskraft bei „Game of Thrones“?
Perfekt vielleicht nicht, aber wirksam: Manke Rayder, der König-jenseits-der-Mauer. Er vereint alle 14 Elemente von Führung, die wir unserem Buch beschreiben. Er hat eine Vision, sein
Volk zu retten, vereint 90 zerstrittene Stämme, übernimmt Verantwortung, folgt verbindlichen Werten, kommuniziert klar, ist kompetent, konsequent, konfliktfähig und flexibel. Seine
Untertanen knien nicht vor ihm, sie nennen ihn aber trotzdem König. Das ist echte Vertrauensmacht. Einziger Wermutstropfen: Manke Rayder bekommt zu wenig Sendezeit in der Serie. Wir
hätten uns gewünscht, mehr von ihm zu sehen, weil er wirklich brillant ist als Führungskraft.